1. Problemstellung
Es gibt viele Gründe, warum der Gesetzgeber die Gestaltung des Arbeitslebens nicht völlig dem freien Markt überlässt. Aus diesem Grund gibt es in Deutschland ein Arbeitsrecht, welches an vielen Stellen die Vertragsfreiheit einschränkt. Zu nennen wären hier zum Beispiel das Urlaubsrecht oder das Arbeitszeitrecht, welches in eigenen Gesetzen Mindeststandards festlegt, die nicht unter- bzw. überschritten werden dürfen. Regeln, die den Mindeststandard festlegen, gibt es auch zu den Kündigungsfristen. Grundlegend geregelt sind sie im BGB. Die zentrale Vorschrift ist der § 622 BGB. Dieser unterscheidet zwischen Kündigungsfristen, die gleichermaßen für den Arbeitnehmer und den Arbeitgeber gelten, und solchen, die nur für den Arbeitgeber gelten. Zusätzlich erlaubt § 622 BGB, dass einzelvertraglich andere Kündigungsfristen vereinbart werden können. Das Recht, einzelvertraglich andere Kündigungsfristen zu vereinbaren, besteht allerdings nur in bestimmten Grenzen. Im nachfolgenden Beitrag geht es um die Frage, inwieweit durch den Arbeitsvertrag die Kündigungsfristen für den Arbeitnehmer verlängert werden können. Praktisch relevant können längere Kündigungsfristen für einen Arbeitnehmer dann werden, wenn er bei einem anderen Arbeitgeber eine neue Arbeitsstelle kurzfristig antreten könnte, aber durch eine vertraglich längere Kündigungsfrist daran gehindert wäre. Man könnte hier zwar an eine außerordentliche (fristlose) Kündigung denken. Voraussetzung für eine außerordentliche Kündigung ist aber das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Der Umstand, kurzfristig einen neuen Arbeitsplatz antreten zu können, stellt aber keinen wichtigen Grund dar, weshalb eine trotzdem ausgesprochene außerordentlichen Kündigung rechtswidrig wäre. Das Arbeitsrecht erlaubt hier nur eine ordentliche Kündigung im Rahmen des Gesetzes.
2. Kündigungsfristen für den Arbeitnehmer
§ 622 Abs. 1 BGB regelt, dass das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten mit einer Frist von 4 Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden darf. Wurde zwischen den Arbeitsvertragsparteien eine Probezeit vereinbart, die längstens 6 Monate dauern darf, kann gemäß § 622 Abs. 3 BGB das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von 2 Wochen gekündigt werden. Einzelvertraglich kann eine kürzere als die in § 622 Absatz 1 BGB genannte Kündigungsfrist nur vereinbart werden, wenn der Arbeitnehmer zur vorübergehenden Aushilfe eingestellt wird, sofern das Arbeitsverhältnis nicht länger als 3 Monate dauert oder wenn der Arbeitgeber in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt und die Kündigungsfrist nicht 4 Wochen unterschreitet.
3. Kündigungsfristen für den Arbeitgeber
Für den Arbeitgeber gelten zunächst einmal ebenfalls die Kündigungsfristen des § 622 Abs. 1 BGB, nämlich 4 Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats. Des weiteren kann auch gemäß § 622 Abs. 3 BGB während einer vereinbarten Probezeit mit einer Frist von 2 Wochen gekündigt werden.
§ 622 Abs. 2 BGB regelt dann allerdings für den Arbeitgeber längere Kündigungsfristen, gestaffelt danach, wie lange das Arbeitsverhältnis im Betrieb oder Unternehmen besteht. So verlängert sich die Kündigungsfrist von ursprünglich 4 Wochen zum 15. oder Ende des Kalendermonats nach einer Beschäftigungszeit von 2 Jahren auf 1 Monat zum Ende eines Kalendermonats, nach 5 Jahren auf 2 Monate zum Ende eines Kalendermonats bis einer Kündigungsfrist von 7 Monaten zum Ende eines Kalendermonats, sofern das Arbeitsverhältnis 20 Jahre bestanden hat. Die genaue Staffelung ergibt sich aus dem Wortlaut von § 622 Abs. 2 BGB. Diese Staffelung gilt nach dem Wortlaut des Gesetzes nur für Kündigungen, die der Arbeitgeber ausspricht.
4. Vertragliche Verlängerung der Kündigungsfristen auch für den Arbeitnehmer
Nun sind die vom Arbeitnehmer einzuhaltenden Kündigungsfristen des § 622 Abs. 1 BGB eher recht kurz. Das bedeutet in der Praxis, dass ein Arbeitnehmer, der zum Beispiel über 20 Jahre im Betrieb gearbeitet hat, selber mit einer Frist von 4 Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats kündigen könnte, der Arbeitgeber aber nur mit einer Frist von 7 Monaten zum Monatsende. Das wirft die Frage auf, ob hier nicht aus Gründen der "Waffengleichheit" verlängerte Kündigungsfristen auch für einen Arbeitnehmer vereinbart werden können. Der Gesetzgeber steht einer Verlängerung der Kündigungsfristen nicht ablehnend gegenüber. So enthält § 622 Abs. 6 BGB die Regelung, dass die Arbeitsvertragsparteien auch eine längere als die in § 622 Abs. 1 BGB vorgesehene Kündigungsfrist vereinbaren dürfen, vorausgesetzt, dass für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer keine längere Frist vereinbart werden darf, als für die Kündigung durch den Arbeitgeber. Diese gesetzliche Regelung führte dazu, dass die Arbeitgeber seit Jahrzehnten in ihren Arbeitsverträgen von der Möglichkeit der vertraglichen Verlängerung von Kündigungsfristen für den Arbeitnehmer in solchem Umfang Gebrauch machten, dass man mit Fug und Recht sagen kann, dass eine derartige vertragliche Regelung im Arbeitsleben ein weit verbreitetes Gestaltungsinstrument darstellt.
5. Urteil des BAG vom 26.10.2017 (Az.: 6 AZR 158/16)
Seit der Schuldrechtsreform unterliegen nun aber auch arbeitsvertragliche Regelungen einer AGB-Kontrolle. Aus diesem Grund musste das BAG immer wieder mal über die Frage entscheiden, ob eine Verlängerung der Kündigungsfristen für den Arbeitnehmer nicht eigentlich eine unzumutbare Benachteiligung im Sinne des § 307 BGB darstellt. Und hier scheint sich eine deutliche Verschärfung in Bezug auf die Zulässigkeit der Verlängerung von Kündigungsfristen für den Arbeitnehmer abzuzeichnen. So entschied das BAG noch in seinem Urteil vom 28.05.2009 (Az.: 8 AZR 896/07), dass eine Verlängerung der Fristen für eine ordentliche Arbeitnehmerkündigung nicht ohne weiteres den Arbeitnehmer beeinträchtigt. Es diskutierte zwar in diesem Urteil schon Kriterien, unter welchen Umständen eine Beeinträchtigung vorliegen könnte, entschied diese Frage aber nicht. In seinem Urteil vom 26.10.2017 (Az.: 6 AZR 158/16) scheint das BAG nun zu einer grundlegenden Bewertung gelangt zu sein, wann eine Beeinträchtigung vorliegt. So entschied es, dass die Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 Abs. 1 BGB einen Arbeitnehmer auch dann entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB benachteiligen kann, wenn die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber in gleicher Weise verlängert wird. Begründet wird diese unangemessene Benachteiligung damit, dass der Gesetzgeber mit den unterschiedlichen Kündigungsfristen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Wertung vorgenommen hat. So wird grundsätzlich durch die Verlängerung der Kündigungsfrist in die freie Berufswahl des Arbeitnehmers eingegriffen wird. Die reine Berufswahl erschöpft sich nicht nur in der Entscheidung zur Aufnahme eines Berufs. Sie umfasst darüber hinaus die Fortsetzung und Beendigung des Berufs. Wörtlich heißt es in dem Urteil unter Rand-Nr. 39:
"Die freie Arbeitsplatzwahl besteht neben der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung auch in dem Willen des Einzelnen, die Beschäftigung beibehalten oder aufzugeben (mit weiteren Nachweisen)."
Dieses Recht des Arbeitnehmers darf nicht unangemessen beeinträchtigt werden. Allein die Verlängerung der Kündigungsfristen für eine Arbeitnehmerkündigung führt in der Praxis dazu, dass der Arbeitnehmer bei einer Kündigungsfrist von 4 Wochen um 15. oder zum Ende eines Kalendermonats sehr schnell einen neuen Arbeitsplatz antreten könnte, hingegen bei einer mehrmonatigen Kündigungsfrist dies eben nicht kann. Wörtlich heißt es in dem Urteil unter Rand-Nr. 35 wie folgt:
"Der Gesetzgeber hält eine Frist von 4 Wochen für die Personalplanung des Arbeitgebers für ausreichend. Zugleich lässt er eine beiderseitige Verlängerung der Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 5 S.3, Abs. 6 BGB zu. Die Verlängerung der Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer ist wegen der gesetzlichen Regelvorstellung der bevorzugten Behandlung des Arbeitnehmers in § 622 Abs. 1 BGB aber auch dann ein Nachteil, wenn die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber aufgrund der gesetzlichen Öffnung in § 622 Abs. 5 S. 3, Abs. 6 BGB durch vertraglichen Gestaltung in gleicher Weise verlängert wird."
Aus diesem Grund stellt eine Verlängerung der Kündigungsfristen für den Arbeitnehmer grundsätzlich eine unangemessene Benachteiligung dar, obwohl das BGB ausdrücklich eine solche Verlängerung zulässt, sofern der Arbeitnehmer keine längere Kündigungsfrist einhalten muss als der Arbeitgeber. Das BAG verlangt jenseits des Wortlauts des BGB hinaus, dass dem Arbeitnehmer ein angemessener Ausgleich gewährt wird. Wie dieser Ausgleich aussehen könnte, dazu sagt das Urteil des BAG nichts. Auch im betrieblichen Alltag dürfte es dazu noch keine verbreitete Praxis geben. Letztlich war die Verlängerung der Kündigungsfristen für Arbeitnehmer in den zurückliegenden Jahren kein relevantes rechtliches Problem. Das könnte sich ändern. Denn in der Praxis ist es nun so, dass über die Verlängerung von Kündigungsfristen für den Arbeitnehmer üblicherweise nicht verhandelt wird. Vielmehr erhält der Arbeitnehmer einen vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag mit einer entsprechenden vertraglichen Regelung und unterschreibt diesen. Und diese Verträge enthalten üblicherweise keinerlei Regelungen zu etwaigen Kompensationsleistungen. Ob dann ein Ausgleich später im Laufe des Arbeitsverhältnisses gewährt wird, ist Tatfrage. Auch das dürfte eher selten der Fall sein. Und das hat zur Folge, dass für eine Vielzahl von Arbeitsverträgen eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers vorliegt. Denn wenn weder der Arbeitsvertrag eine Kompensation regelt, noch eine solche tatsächlich gewährt wird, dann stellen verlängerte Kündigungsfristen eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers dar. Letztendlich muss dies aber regelmäßig an Hand der Umstände des Einzelfalls geprüft werden.