Roland Stemke
Rechtsanwalt
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08.03.2021

Pflicht zur Anzeige der Arbeitsunfähigkeit/Verhaltensbedingte


Pflicht zur Anzeige der Arbeitsunfähigkeit / verhaltensbedingte Kündigung

1. Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Laufes seines Arbeitsverhältnisses, dann hat er gemäß § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) die Pflicht, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Des weiteren hat er die Pflicht, nach einer Dauer der Arbeitsunfähigkeit von länger als drei Kalendertagen dem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer vorzulegen. Das heißt, der Arbeitnehmer hat sowohl Anzeige- als auch Nachweispflichten. Diese Pflichten sind zweifelsohne bei einer Ersterkrankung oder bei Erkrankungen von kürzerer Dauer ohne weiteres einleuchtend. Gilt dies aber auch für längerfristige Erkrankungen?

So regelt § 3 EFZG, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen zu leisten. Nach Ablauf dieses Zeitraums hat der Arbeitnehmer dann einen Anspruch auf Krankengeld gegenüber seiner Krankenkasse. Das wirft die ganz praktische Frage auf, ob ein Arbeitnehmer auch nach Ablauf der 6-Wochen-Frist die Verpflichtung hat, stets die Fortdauer seiner Arbeitsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen. So beziehen Arbeitnehmer nach Ablauf der 6-Wochen-Frist nicht selten monatelang Krankengeld. Die Praxis zeigt nun, dass durch Abwesenheit des Arbeitnehmers häufig sowohl auf Seiten des Arbeitsgebers als auch beim Arbeitnehmer selbst eine gewissen Entfremdung eintritt.

2.  Zu dieser Frage erließ das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 07.05.2020 (Az.: 2 AZR 619/19) ein bemerkenswertes Urteil. Der Entscheidung zugrunde lag ein Arbeitsverhältnis, in welchem ein langjährig beschäftigter Arbeitnehmer mehr als ein Jahr durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben war. Im Laufe der ersten Monate monierte irgendwann der Arbeitgeber, dass die Fortdauer der Erkrankung nicht regelmäßig unverzüglich angezeigt worden sei. Nachdem der Arbeitnehmer nach dieser Monierung auch danach aus Sicht des Arbeitgebers einige Male die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht unverzüglich angezeigt hatte, mahnte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer trotz dessen krankheitsbedingter Abwesenheit ab und sprach zum Schluss sogar eine verhaltensbedingte Kündigung aus.

     Hiergegen erhob der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage und bekam in der ersten und zweiten Instanz auch Recht. Das BAG hob die Entscheidungen hingegen auf. Auf den ersten Blick hat dieses Ergebnis verblüfft. Schaut man sich die Urteilsgründe genauer an, stellt man allerdings fest, dass das BAG hauptsächlich Bedenken gegen die Art der Begründung hatte.

3.  Dazu im Einzelnen:

Eine Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus, in Abwägung der Interessen beider Vertragsteilnehmer, nicht zumutbar ist.

Nach Ansicht des BAG besteht gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG die (Neben-)Pflicht, die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen. Diese Pflicht erfasst nicht nur die Mitteilung im Falle einer Ersterkrankung. Sie umfasst auch die Verpflichtung, die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit über die zunächst angezeigte Dauer hinaus unverzüglich mitzuteilen. Diese Pflicht besteht auch unabhängig davon, ob der Arbeitgeber noch zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist. Für die Praxis bedeutet das, auch nach Ablauf der 6-Wochen-Frist - also auch während des Bezugs von Krankengeld - hat der Arbeitnehmer unverzüglich mitzuteilen, dass er weiterhin erkrankt ist; des weiteren hat er die voraussichtliche weitere Dauer bekanntzugeben. Das BAG begründet diese Pflicht u.a. damit, dass der Arbeitgeber in die Lage versetzt wird, sich auf das Fehlen des arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers möglichst frühzeitig einstellen zu können. Dieses Bedürfnis besteht im Grunde solange, wie der Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank ist. Und das kann weit über die ersten 6 Wochen der Erkrankung gehen.

Dieses vom BAG für die gesamte Zeit der krankheitsbedingten Abwesenheit fortdauernde Dispositionsinteresse des Arbeitgebers wird in der Praxis allerdings ganz unterschiedlich wahrgenommen. Das aber steht der grundsätzlichen Annahme des BAG nicht entgegen. So reicht das reine Unterbleiben der unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit als Kündigungsgrund nicht aus. Vielmehr muss das Unterbleiben auf einer schuldhaften Verletzung der vertraglichen Pflichten durch den Arbeitnehmer beruhen. Und in Bezug auf diesen Punkt sind die Instanz- gerichte wohl davon ausgegangen, dass bei einem langzeiterkrankten Arbeitnehmer das Dispositionsinteresse des Arbeitgebers generell weniger beeinträchtigt werde als beim erstmaligen Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Aus diesem Grund sei das Verschulden des langzeiterkrankten Arbeitnehmers weniger groß. Das BAG folgt dieser Begründung nicht. Dem ist beizupflichten. Der Arbeitgeber kann grundsätzlich darauf vertrauen, der Arbeitnehmer werde ohne eine anderslautende Anzeige seine Arbeit nach Ablauf der mitgeteilten Dauer der Arbeitsunfähigkeit wieder aufnehmen. Dieses Vertrauen gilt auch, wenn ein Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum erkrankt ist und sich zum Beispiel schon im Krankengeldbezug befindet. So verneint das BAG einen Erfahrungssatz, dass bei fortgesetzter Dauer einer Arbeitsunfähigkeit die Genesung unwahrscheinlicher wird. Dies ist durchaus plausibel. Ob und wann eine Genesung zu erwarten ist, hängt nicht von der Dauer sondern von der Art der Erkrankung ab. Ein Arbeitnehmer, der wieder gesund werden kann, wird irgendwann auch nach längerer Dauer der Arbeitsunfähigkeit seine Arbeit wieder aufnehmen können. Gemessen an diesen Grundsätzen macht es bei der Annahme einer generellen Pflicht zur Anzeige der Erkrankung keinen Unterschied, ob die erste Arbeitsunfähigkeit oder die Fortsetzung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit anzuzeigen ist. In beiden Fällen ist es möglich, dass der Arbeitnehmer nach der gerade angezeigten Erkrankung wieder zur Arbeit erscheint. Von daher ist es rechtsdogmatisch nicht überzeugend, schon dann von einem geringeren Verschulden auszugehen, wenn ein langzeiterkrankten Arbeitnehmer seinen Anzeigepflichten nicht nachkommt. Allein das Merkmal der Dauer der Krankheit hat mit der Schuld des Arbeitnehmers nichts zu tun.

 In der Praxis wird dies durchaus anders wahrgenommen. Dauert eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit länger als sechs Wochen, spricht die Lebenserfahrung dafür, dass die Erkrankung bedeutsamer bzw. ernsthafter ist. Sie hat auf das Alltagsleben des Arbeitnehmers jedenfalls eine gewisse Relevanz. Eine weitere Folge einer längerfristigen Erkrankung ist, dass ein Arbeitnehmer einfach nicht bei der Arbeit ist, was dazu führt, dass der gewöhnliche Berufsalltag in seinem Leben nicht stattfindet. Das heißt, die Erfüllung der Arbeitspflicht, die bei der Ausübung der Arbeitstätigkeit praktisch allgegenwärtig ist, spielt bei Langzeiterkrankten eine untergeordnete bis überhaupt keine Rolle mehr. Man kann durchaus beobachten, dass Arbeitnehmern, die Krankengeld beziehen, nicht selten überhaupt nicht bewusst ist, dass sie noch Anzeigepflichten haben. Umgekehrt rechnen viele Arbeitgeber bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern eben nicht mit deren baldigem Erscheinen am Arbeitsplatz und planen überhaupt nicht mit diesen. Ob aufgrund dieser zu beobachtenden Erfahrungen gleich auf einen allgemeinen Erfahrungssatz abgestellt werden kann, ist eine andere Frage. Das aber spricht noch nicht gegen die Begründung des BAG. Formaljuristisch hat das BAG nämlich recht. Der Arbeitnehmer hat auch bei Langzeiterkrankung die aus dem Gesetz ableitbare Pflicht, jede Fortsetzung der Erkrankung und ihre voraussichtliche Dauer mitzuteilen. Diese Pflicht besteht, ganz gleich, ob der Arbeitnehmer erst kurz oder schon länger erkrankt ist. Das Gesetz macht da keinen Unterschied. Und wenn der Gesetzgeber einem Arbeitnehmer vom ersten Tag der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit unabhängig vom Grad der Schwere seiner Erkrankung eine Anzeigepflicht auferlegt, dann spricht nichts dagegen, diese Pflicht für die gesamte Dauer der Erkrankung anzunehmen. Das aber macht den Arbeitnehmer nicht schutzlos. Wie oben schon ausgeführt, stellt allein das Unterlassen der Anzeige für sich noch keinen Grund dar, eine verhaltensbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen. Es müssen weitere Umstände hinzutreten. Unter anderem hängt es auch vom Verhalten des Arbeitgebers ab. So kann der Arbeitgeber zum Beispiel auf die Einhaltung der Pflicht bestehen. Dies muss er aber gegenüber dem Arbeitnehmer auch kommunizieren. Dies kann so weit gehen, dass der Arbeitgeber wegen Verletzung der Anzeige gegenüber dem Arbeitnehmer eine Abmahnung ausspricht.

Bleibt ein Arbeitgeber trotz unterbliebener Anzeige der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit hingegen untätig, wird eine verhaltensbedingte Kündigung daran scheitern, dass er keine Abmahnung ausgesprochen hat. Durch die Anzeigepflicht soll ja das Dispositionsinteresse des Arbeitgebers geschützt werden. Bleibt ein Arbeitgeber über Monate untätig, kann er nicht aus heiterem Himmel mit dem Argument kündigen, sein Dispositionsinteresse sei verletzt worden. Der Grund für sein Untätig-bleiben hätte ja auch darin liegen können, dass er das Verhalten des Arbeitnehmers toleriert. Moniert hingegen ein Arbeitgeber die unterlassene Anzeige und mahnt deshalb den Arbeitnehmer sogar ab, dann muss ein Arbeitnehmer dies trotz seiner Langzeiterkrankung ernst nehmen. Er weißt ja, dass sein Arbeitgeber auf die Beachtung der Anzeigepflichten besteht.

Fazit: Im Grunde hat das BAG mit seiner Entscheidung den Kündigungsschutz eines erkrankten Arbeitnehmers wegen Verletzung von Anzeigepflichten nicht verschlechtert sondern die Begründung nur rechtsdogmatisch zurechtgerückt. Eine Langzeiterkrankung befreit den Arbeitnehmer nicht von seinen Anzeigepflichten. Daher stellt ein Untätigbleiben des Arbeitnehmers grundsätzlich einmal eine schuldhafte Pflichtverletzung dar, es sei denn, dass andere Umstände dem entgegen stehen. Zu denken wäre hier zum Beispiel an einen schweren Krankheitsverlauf. Aber selbst wenn dem Arbeitnehmer ein schuldhafter Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Pflicht zur Anzeige seiner Erkrankung vorgeworfen werden könnte, müsste der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung abmahnen. Und selbst, wenn der Arbeitgeber das gemacht hat, muss bei der Bewertung der Rechtmäßigkeit der Kündigung am Ende immer noch zusätzlich eine Interessenabwägung erfolgen. Und bei diesem Prüfungspunkt spielen dann die konkreten Umstände des Einzelfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle. So wird man den Krankheitsverlauf des Arbeitsnehmers berücksichtigen müssen, seine Lebenssituation, zum Beispiel ob er alleine lebt oder innerhalb einer Familie. Des weiteren sind die Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter sowie die Chancen am Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Natürlich kann man einen Teil der zuletzt genannten Gründe auch schon bei der Frage prüfen, ob überhaupt ein schuldhaftes Verhalten vorliegt.