Roland Stemke
Rechtsanwalt
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10.12.2018

Kein automatischer Verfall des Urlaubs


Kein automatischer Verfall des Urlaubs wegen nicht gestellten Urlaubsantrags

Zweifelsohne genießt der Urlaub in der deutschen Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Das führt aber nicht dazu, dass jeder Arbeitnehmer im Laufe eines Kalenderjahres den ihm zustehenden Urlaub auch tatsächlich beansprucht. Dies kann an verschiedenen Gründen liegen. So passiert es immer wieder, dass der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin im Kalenderjahr sehr lange arbeitsunfähig krank ist und deshalb keinen Urlaub beansprucht. Es kann aber auch sein, dass der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin einfach aus Sorge um den Erhalt des Arbeitsplatzes keinen Urlaubsanspruch geltend macht. Verliert er/sie deshalb den Urlaubsanspruch?

Die Frage ist für erkrankte Arbeitnehmer inzwischen geklärt. So entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Urteil vom 07.08.2012 (Az.: 9 AZR 353/10) folgendes:

"Der gesetzliche Erholungsurlaub setzt keine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr voraus. Ist ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert, verfallen seine gesetzlichen Urlaubsansprüche aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 Satz 3 Bundesurlaubsgesetz 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres."

Anders wurde die Frage allerdings antwortet, wenn der Arbeitnehmer nicht erkrankt war und trotzdem keinen Urlaub während des Kalenderjahres beantragt hat. So entschied das BAG mit Urteil vom 15.09.2011 (Az.: 8 AZR 846/09) noch folgendes:

"Hat der Arbeitnehmer keine Urlaubswünsche angemeldet, so ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer anzuhören oder seine Urlaubswünsche zu erfragen, um den Urlaubszeitraum von sich aus zu bestimmen. "

Dieses Urteil folgte der ständigen Rechtsprechung des BAG, was in der Vergangenheit dazu führte, dass ein Urlaub im Kalenderjahr bzw. nach Ablauf des Übertragungszeitraumes (31.03 des Folgejahres) verfiel, es sei denn, der Arbeitnehmer hatte den Urlaub rechtzeitig verlangt, der Arbeitgeber ihn aber nicht gewährt. In diesem Fall wandelte sich der Urlaubsanspruch in einen Schadensersatzanspruch um.

Dieser Art von automatischem Verfall des Urlaubsanspruchs wegen nicht gestellten Urlaubsantrags hat nun der Europäische Gerichtshof  (EuGH) mit Urteil vom 06.11.2018 (Az.: C 684/16) unter Hinweis auf Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG eine Absage erteilt. Danach steht eine nationale Regelung Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG entgegen, nach der ein Arbeitnehmer, der im betreffenden Bezugszeitraum keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, am Ende des Bezugszeitraums die ihm gemäß diesen Bestimmungen für den Bezugszeitraum zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub verliert, und zwar automatisch und ohne vorherige Prüfung, ob er vom Arbeitgeber z.B. durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch wahrzunehmen. Die juristische Sprache ist gelegentlich sowohl für juristische Laien aber auch für Juristen selber schwer lesbar. Gemeint ist folgendes: § 7 Abs. 3 BUrlG verlangt, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Stellt nun im Kalenderjahr der Arbeitnehmer von sich aus gegenüber dem Arbeitgeber keinen Antrag auf Gewährung von Urlaub, dann darf allein diese Untätigkeit des Arbeitnehmers nicht dazu führen, dass der Urlaub automatisch verfällt. Vielmehr muss der Arbeitgeber durch eine angemessene Aufklärung  den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzen, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Diese Pflicht zur Aufklärung geht nicht so weit, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dazu zwingen muss, Urlaub zu nehmen. Er muss den Arbeitnehmer aber konkret und erforderlichenfalls förmlich dazu auffordern, Urlaub zu nehmen und klar und rechtzeitig darauf hinweisen, dass der Urlaub, wenn ihn der Arbeitnehmer nicht nimmt, mit Ablauf des Bezugs-  oder Übertragungszeitraum verfällt. 

Praxistipp:

Früher konnte der Arbeitgeber untätig bleiben und ggf. später geltend gemachte Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers damit abwehren, dass der Arbeitnehmer zu keinem Zeitpunkt von sich aus einen Urlaubsantrag gestellt hat. Zukünftig müssen die Arbeitgeber aktiv auf ihre Arbeitnehmer zugehen und diese auffordern, Urlaub zu nehmen. Außerdem müssen sie ihre Mitarbeiter auch in die Lage versetzen, Urlaub zu nehmen. Die Beweislast hierfür trägt insoweit der Arbeitgeber. Ein Verfall des Urlaubs mit Abgeltungsanspruch wird daher in Zukunft nur noch dann überhaupt in Frage kommen, wenn der Arbeitnehmer beweisbar aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage auf seinen Urlaub verzichtet hat.