Roland Stemke
Rechtsanwalt
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03.04.2019

Erbrechtlicher Pflichtteil und Schenkungen unter Ehegatten


Keine 10-Jahres-Frist bei Schenkungen unter Ehegatten

Gemäß § 2303 BGB können Abkömmlinge des Erblassers, aber auch dessen Eltern und der Ehegatte den Pflichtteil verlangen, wenn sie durch Verfügung von Todes wegen, z.B. durch Testament, von der Erbfolge ausgeschlossen werden.

1. Gemäß § 2311 BGB wird bei der Berechnung des Pflichtteils der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrundegelegt. Um nun zu verhindern, dass durch Schenkungen des Erblassers zu Lebzeiten dieser Nachlass gezielt reduziert wird, hat der Gesetzgeber durch § 2325 BGB Anrechnungsregelungen bezüglich Schenkungen des Erblassers zu dessen Lebzeiten erlassen. So heißt es in § 2325 Abs. 1 BGB wie folgt:

"Hat der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht, so kann der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird."

2.  Gegeben sei nun folgende Ausgangssituation:

     Der Erblasser ist verheiratet und hat mit seiner Frau ein gemeinsames Kind. Außerdem gibt es aus einer früheren Ehe ein Kind. Das Kind aus der früheren Ehe wird durch Testament enterbt. Die Ehefrau und das gemeinsame Kind sind Erben zu gleichen Teilen. Diese Konstellation      vorausgesetzt werden nun nachfolgend fiktiv folgende Schenkungssituationen durchgespielt:

-        Der Erblasser schenkt dem gemeinsamen Kind kurz vor seinem Tod ein Grundstück.

-        Der Erblasser schenkt 12 Jahre vor seinem Tod dem gemeinsamen Kind ein Grundstück.

-        Der Erblasser schenkt 12 Jahre vor seinem Tod seiner Ehefrau ein Grundstück.

3. Gemäß § 2325 Abs. 1 BGB sind Schenkungen des Erblassers an Dritte dem Nachlass hinzuzurechnen. § 2325 Abs. 3 BGB unterwirft aber diese Schenkungen einer zeitlichen Grenze. So heißt es in § 2325 Abs. 3 BGB wie folgt:

"Die Schenkung wird innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jeden weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils 1/10 weniger berücksichtigt. Sind 10 Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen, bleibt die Schenkung unberücksichtigt. Ist die Schenkung an den Ehegatten erfolgt, so beginnt die Frist nicht vor der Auflösung der Ehe."

Angewendet auf die obigen Beispielsfälle führt dies zu folgenden Ergebnissen: Die Schenkung an das gemeinsame Kind kurz vor dem Tod des Erblassers ist wertmäßig in voller Höhe dem Nachlass hinzurechnen. Im zweiten Fall ist die Schenkung an das gemeinsame Kind 12 Jahre vor dem Tod des Erblassers dem Nachlass nicht zuzurechnen, weil diese Schenkung außerhalb der 10-Jahres-Frist liegt.

Problematisch ist hingegen die Schenkung an den Ehegatten. § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB sagt, dass die 10-Jahres-Frist nicht vor Auflösung der Ehe beginnt. Diese Formulierung wirkt auf den ersten Blick wenig verständlich. Inhaltlich besagt diese Regelung, dass der Gesetzgeber einen Unterschied zwischen einer aufgelösten und einer bestehenden Ehe macht. Und danach beginnt keine 10-Jahres-Frist zu laufen, wenn die Ehe zum Zeitpunkt des Erbfalls noch bestand. Das bedeutet, dass sämtliche Schenkungen an den Ehegatten, auch solche außerhalb der 10-Jahres-Frist, dem Nachlass zuzurechnen sind. Das führt bezogen auf die obigen Beispielsfälle zu dem auf den ersten Blick merkwürdigen Ergebnis, dass eine Schenkung an das gemeinsame leibliche Kind 12 Jahre vor dem Tod des Erblassers für die Pflichtteilsberechnung nicht berücksichtigt werden muss, hingegen die Schenkung an den Ehegatten sehr wohl. Da sich Betroffene durch diese Regelung ungerecht behandelt fühlten, erhoben sie nach dem Durchlaufen des ordentlichen Gerichtswegs Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Sie sahen in der Ausnahmeregelung des § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB eine Ungleichbehandlung von Ehegatten gegenüber sonstigen Dritten. Das Bundesverfassungsgericht entschied durch Beschluss vom 26.11.2018 (Az.: 1 BvR 1511/14), dass § 2325 Abs. 3 BGB verfassungsgemäß ist. Einen tragenden Grund sah das Bundesverfassungsgericht darin, dass auch bei einer Schenkung unter Ehegatten bei Fortbestand der Ehe regelmäßig weiterhin eine Nutzungsmöglichkeit durch beide Ehegatten gegeben ist, da der Schenkungsgegenstand nicht wirklich aus dem Vermögen ausscheidet. Hingegen scheidet bei einer Schenkung an sonstige Dritte üblicherweise der Schenkungsgegenstand aus dem Vermögen des Erblassers aus. Dies rechtfertigt eine gesetzliche Ungleichbehandlung von Schenkungen an Dritte gegenüber Schenkungen an Ehegatten.