Roland Stemke
Rechtsanwalt
Tel.: 0831 / 2 69 91
21.06.2022

Die Beweislastumkehr beim Verbrauchsgüterkauf


Beweislastumkehr bei einem Verbrauchsgüterkauf

1. Historie der Vorschrift

     Der Verbrauchsgüterkauf wurde im Rahmen der Schuldrechtsreform im Jahre 2001 erstmals im BGB geregelt. Hierbei wurde auch eine Regelung zur Beweislastumkehr aufgenommen. Geregelt wurde dies seinerzeit in § 476 BGB: "Zeigt sich innerhalb von 6 Monaten seit Gefahrenübergang ein Sachmangel, so wird vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrenübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Sache und des Mangels nicht vereinbar." Seither wurden die Vorschriften zum Verbrauchsgüterkauf wiederholt geändert. So rutschte mit Wirkung ab 01.01.2018 die Regelung zur Beweislastumkehr wortgleich von § 476 in § 477 BGB. Mit Wirkung ab 01.01.2022 wurde nun auch der Wortlaut von § 477 BGB nicht nur geändert, sondern auch erweitert. Galt bis dahin allgemein eine Frist von 6 Monaten, wurde diese nun auf 1 Jahr zu Lasten des Verkäufers verändert. Nur beim Kauf von lebenden Tieren bleibt es beim bisherigen Zeitraum von 6 Monaten. Außerdem wurde zusätzlich ein Absatz 2 eingeführt, der der zunehmenden Digitalisierung Rechnung tragen soll. So ist hier erstmals von Waren mit digitalen Elementen die Rede. Diese Regelung ist im Zusammenhang zu sehen mit den zeitgleich im BGB aufgenommenen Regelungen zu Verträgen über digitale Produkte (§§ 327 ff. BGB). Zu beachten ist hierbei die vom Gesetzgeber geregelte begriffliche Unterscheidung zwischen Waren mit digitalen Elementen und digitalen Produkten. Hierauf wird später noch kurz einzugehen sein.

     Der nachfolgende Beitrag befasst sich hauptsächlich mit § 477 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dieser lautet wie folgt: "Zeigt sich innerhalb eines Jahres seit Gefahrenübergang ein von den Anforderungen nach § 434 oder § 475b BGB abweichender Zustand der Ware, so wird vermutet, dass die Ware bereits bei Gefahrenübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Ware und des mangelhaften Zustandes unvereinbar." Damit weicht die geänderte Regelung begrifflich gegenüber der früheren Regelung ab. Rechtlich ändert sich hingegen, abgesehen von der Fristverlängerung, eher wenig.

2.  Was bedeutet nun Beweislastumkehr?

     Die Überschrift des § 477 BGB lautet: "Beweislastumkehr". Bemerkenswerter Weise taucht dann aber der Begriff "Beweis" in der Vorschrift gar nicht mehr auf, was dazu führt, dass sich diese Vorschrift für einen juristischen Laien nicht sofort erschließt.

     Die Beweislast spielt hauptsächlich im Zivilprozess eine große Rolle. So gilt seit Jahrzehnten im Zivilprozess folgender Grundsatz: "Derjenige, der aus einer ihm günstigen Norm Rechte herleitet, hat deren tatsächliche Voraussetzung darzulegen und zu beweisen." (vgl. BGH, Urteil vom 18.05.2005, Az.: VIII ZR 368/03 mit weiteren Nachweisen). So werden immer wieder Prozesse von der Partei verloren, die für einen bestimmten Umstand die Beweislast zu tragen hat und der dann aber im Prozess der Beweis nicht gelingt. Das führt nicht selten dazu, dass die unterlegene Prozesspartei nach einem so verlorenem Prozess dafür gleich das ganze deutsche Recht in Frage stellt, was aber im Kern natürlich nicht stimmt. Im Grunde ist der vom BGH vertretene Beweislastgrundsatz gerecht. Derjenige, der etwas für sich Günstiges behauptet, trägt für deren Vorliegen auch die Beweislast. Es gibt aber Lebensumstände, die krisenanfällig sind und bei denen der Beweis zum Teil nur sehr aufwendig geführt werden kann. Einer dieser Umstände ist der Verbrauchsgüterkauf.

     Vor der Aufnahme der Beweislastumkehr ins BGB musste der Käufer einer Sache nicht nur beweisen, dass überhaupt ein Sachmangel vorliegt. Er musste vielmehr auch beweisen, dass der Mangel schon zum Zeitpunkt der Übergabe der Kaufsache an ihn vorlag. Dies war im Einzelfall durchaus ziemlich problematisch und wurde auch zum Teil als ungerecht empfunden. Andererseits entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten auf breiter Ebene das Bewusstsein, dass speziell der Verbraucher im Rechtsverkehr einen besonderen Schutz des Gesetzgebers bedarf. Das fing zunächst mit einzelnen Gesetzen an, zum Beispiel dem Verbraucherkreditgesetz. Später fand der Begriff des Verbrauchers sogar Einzug ins BGB (§ 13 BGB). Dazu kamen bei verschiedenen Vertragsarten noch spezielle Regelungen. So gibt es im Kaufrecht einen ganzen Untertitel zum Verbrauchsgüterkauf. Und eine Vorschrift davon ist die Beweislastumkehr. Der Gesetzgeber sah den Verbraucher beim Kaufvertrag in Bezug auf das Gewährleistungsrecht als besonders schützenswert an. Die Beweislastumkehr begründete der Gesetzgeber damit, dass im Zeitpunkt der Übergabe im Allgemeinen der Verkäufer die beste Sachkenntnis in Bezug auf die Vertragsmäßigkeit des Kaufgegenstandes hat. Demgegenüber hat der Verbraucher erheblich schlechtere Möglichkeiten des Beweises. Dies reichte dem Gesetzgeber zur Rechtfertigung einer gesetzlichen Regelung zur Beweislastumkehr beim Verbrauchsgüterkauf.

3.  Voraussetzungen des Verbrauchsgüterkaufs

     Gemäß § 474 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt ein Verbrauchsgüterkauf dann vor, wenn ein Verbraucher von einem Unternehmen eine Ware kauft. Gemäß § 13 BGB ist Verbraucher jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Danach kann ein Verbraucher nur eine natürliche Person (ein Mensch) sein. Vom Verbraucher zu unterscheiden ist der Unternehmer. Gemäß § 14 Abs. 1 BGB ist ein Unternehmer eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäftes in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Das heißt, eine natürliche Person kann somit als Verbraucher aber auch als Unternehmer handeln. Und das führt in der Praxis irgendwann einmal zu Abgrenzungsproblemen.

     So hatte der BGH in seinem Urteil vom 10.11.2021 (Az.: VIII ZR 187/20) den Fall zu entscheiden, dass ein als Einzelkaufmann eingetragener Immobilienmakler von einem gewerblichen Gebrauchtwagenhändler ein älteres Fahrzeug erwarb. Der Immobilienmakler sammelte Oldtimer. Er benutzte aber den gekauften Wagen auch gelegentlich für gewerbliche Fahrten. Das warf die Frage auf, ob er beim Kauf des Fahrzeugs gewerblich handelte oder als Verbraucher. Hierbei entschied der BGH, dass für die Abgrenzung zwischen Verbraucher und Unternehmerhandel grundsätzlich die objektiv zu bestimmende Zweckrichtung des Rechtsgeschäftes entscheidend ist. Hier kommt es maßgeblich auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf das Verhalten der Parteien bei Vertragsschluss. Alleine aus dem Umstand, dass der Käufer als natürliche Person auch ein Gewerbe betreibt - hier ein als Einzelkaufmann eingetragener Immobilienmakler - führt nicht dazu, dass der Kauf des Fahrzeugs damit eine gewerbliche Handlung war. Abgeleitet wurde dies aus dem Wortlaut des § 13 BGB, der von Geschäftszwecken spricht, die überwiegend keiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zuzurechnen sind.

     Des weiteren spricht § 474 Abs. 1 BGB davon, dass der Verbraucher Ware kauft. Der Begriff ist neu im BGB. Bisher war immer nur von Kaufsache die Rede. § 474 BGB verweist auf § 241a Abs. 1 BGB. Der definiert, was Waren sind. Danach sind Waren bewegliche Sachen, die geliefert werden und nicht etwa aufgrund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder anderen gerichtlichen Maßnahmen verkauft werden. Das heißt, zwischen dem früheren Begriff der Kaufsache und dem jetzt verwendeten Begriff der Ware besteht praktisch kaum ein Unterschied.

4.  Vorliegen eines Sachmangels

     Gemäß § 477 Abs. 1 Satz 1 BGB tritt eine Beweislastumkehr u.a. dann ein, wenn der Zustand der Ware / die Kaufsache von den Anforderungen des § 434 BGB abweicht. § 434 BGB regelt den Sachmangel. Diese Vorschrift wurde mit Wirkung ab 01.01.2022 neu formuliert. "Danach ist eine Sache frei von Sachmangel, wenn sie bei Gefahrenübergang den subjektiven Anforderungen den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen dieser Vorschrift entspricht." Gemäß § 434 Abs. 3 BGB entspricht eine Sache den subjektiven Anforderungen, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat oder sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage- und Installationsanleitungen übergeben wird. In § 434 Abs. 2 Satz 2 BGB konkretisiert der Gesetzgeber, dass zur Beschaffenheit die Art, Menge, Qualität, Funktionalität, Kompatibilität, Interoperabilität und sonstige Merkmale der Sache, für die die Parteien Anforderungen vereinbart haben, gehören. Diese Regelungen führen im Grunde zu keiner Änderung des bisherigen Rechtszustandes.

     Gemäß § 434 Abs. 3 BGB ist "eine Sache frei von Mängeln, wenn sie den objektiven Anforderungen entspricht, und zwar, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet oder eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen derselben Art üblich und die der Käufer erwarten kann, unter Berücksichtigung a) der Art der Sache und b) der öffentlichen Äußerungen, die von dem Verkäufer oder einem anderen Glied der Vertragskette oder in deren Auftrag, insbesondere in der Werbung oder auf dem Etikett, abgegeben wurden oder der Beschaffenheit einer Probe oder eines Musters entspricht, die oder das der Verkäufer dem Käufer vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt hat und mit dem Zubehör einschließlich der Verpackung, der Montage- oder Installationsanleitung sowie anderen Anleitungen übergeben wird, deren Erhalt der Käufer erwarten kann. Ebenfalls zur üblichen Beschaffenheit gehören Menge, Qualität, sonstige Merkmale der Sache, einschließlich ihrer Haltbarkeit, Funktionalität, Kompatibilität und Sicherheit. " Auch diese Regelungen geben gegenüber der früheren Rechtslage wenig Neues.

     Indem § 477 Abs. 1 Satz 1 BGB darauf hinweist, dass eine Abweichung von den Tatbestandsvoraussetzungen des § 434 BGB vorliegen muss, bringt der Gesetzgeber eindeutig zum Ausdruck, dass ein Sachmangel im rechtlichen Sinne vorliegen muss. Verbraucher unterliegen hier gelegentlich dem Irrtum, dass die Kaufsache nur irgendein Mangelsymptom aufweisen muss und dies schon die Beweislastumkehr auslösen würde. Hier entspricht es der Rechtsprechung der Obergerichte, dass zwischen dem Symptom eines Mangels und dem Mangel an sich zu unterscheiden ist. Als Mangel im Rechtssinne kann nur der bei der Übergabe der Kaufsache schon vorhandene vertragswidrige Zustand, welcher die Ursache für das Mangelsymptom bildet, angesehen werden (auch so z.B. OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 08.04.2020, Az.: 12 U 39/18).

     Diese Problematik spielt speziell im Gebrauchtwagenhandel eine Rolle. Typischer Anwendungsfall ist der, dass ein Konsument bei einem gewerblichen Kfz-Händler ein gebrauchtes Fahrzeug erwirbt und dieses schon kurze Zeit nach Übergabe Mangelerscheinungen aufweist. Hier liegt keineswegs automatisch ein von den Anforderungen nach § 434 BGB abweichender Zustand vor. So heißt es z.B. im Leitsatz des Urteils des BGH vom 09.09.2020 (Az.: VIII ZR 150/18) wie folgt: "Ein bei Gefahrübergang vorliegender, dem Alter, der Laufleistung, der Qualitätsstufe entsprechender gewöhnlicher, die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigender Verschleiß eines für den Straßenverkehr zugelassenen Kraftfahrzeugs stellt keinen Sachmangel nach § 434 BGB dar." Dies gilt auch dann, wenn sich daraus in absehbarer Zeit - insbesondere bei durch Gebrauch und Zeitablauf zu erwartender weiteren Abnutzung - ein Erneuerungsbedarf ergibt. Ein Mangel liegt erst dann vor, wenn das Mangelsymptom auf einen atypischen Verschleiß zurückzuführen ist. Hierfür ist aber der Käufer darlegungs- und beweispflichtig, nicht der Verkäufer. Das führt in der Praxis dazu, dass trotz Vorliegen eindeutiger Mangelsymptome der Käufer zunächst ein Sachverständigengutachten benötigt, damit nachgewiesen werden kann, dass ein Mangel im Sinne des § 434 BGB vorliegt.

5.  Sachmangel einer Ware mit digitalen Elementen

     Mit der Gesetzesänderung zum 01.01.2022 führt der Gesetzgeber erstmalig rechtlich den Begriff der Ware mit digitalen Elementen ein. Laut gesetzlicher Definition in § 327a Abs. 3 Satz 1 BGB handelt es sich hierbei um Kaufsachen, die in einer Weise digitale Produkte enthalten oder mit ihnen verbunden sind, dass die einzelne Kaufsache ihre Funktion ohne diese digitalen Produkte nicht erfüllen kann. Tritt hier bei einem solchen Produkt ein Sachmangel auf, wird unterschieden, ob es sich um ein Problem aus dem digitalen Bereich handelt oder um ein sonstiges Problem. Handelt es sich um ein Problem aus dem digitalen Bereich, richten sich die Gewährleistungsrechte nach §§ 327a ff. BGB, ansonsten nach den §§ 434 ff. BGB. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Kühlschrank mit digitalen Steuerungsmöglichkeiten. Tritt hier ein Mangel auf, muss unterschieden werden, ob der Mangel im digitalen oder im sonstigen Bereich besteht. Wie sich dies in Zukunft in der Praxis und damit auch auf das Problem der Beweislastumkehr auswirken wird, wird die Zukunft zeigen. Aufgrund der Neuregelung seit 01.01.2022 gibt es hierzu noch keinerlei Erfahrungswerte.