1. Rechtliche Grundlage
Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung spielt im Berufsleben von Arbeitnehmern eine ganz wichtige Rolle. So haben gemäß § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) alle Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung infolge Krankheit, und zwar auch Teilzeitarbeitskräfte und geringfügig Beschäftige. Wesentliche Voraussetzung ist, dass die Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer Krankheit besteht und gegenüber dem Arbeitgeber nach den Vorgaben des Gesetzes nachgewiesen wird. So schreibt § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG vor, dass der Arbeitnehmer für den Fall, dass die Arbeitsunfähigkeit länger als 3 Kalendertage dauert, dem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer vorzulegen hat. Auch wenn das Gesetz die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst ab einer Krankheitsdauer von mehr als 3 Kalendertagen vorsieht, kann zum Beispiel einzelvertraglich geregelt werden, dass schon vom ersten Tag der Erkrankung an zum Nachweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt werden muss.
Beachtet der Arbeitnehmer diese Verpflichtung nicht, kann das für ihn oder sie empfindliche finanzielle Folgen haben. So ist nämlich der Arbeitgeber gemäß § 7 EFZG berechtigt, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern, solange der Arbeitnehmer die von ihm nach § 5 Abs. 1 EFZG vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt. In Zukunft soll die Pflicht zum Nachweis zwar gem. § 5 Abs. 1a EFZG nicht mehr für die Arbeitnehmer gelten, die Mitglieder einer gesetzlichen Krankenversicherung sind. Dies ist auf gesetzliche Änderungen im SGB IV und SGB V zurückzuführen. Gem. § 109 SGB IV sollen ab 01.01.2023 die Krankenkassen nach Eingang der Arbeitsunfähigkeitsdaten aus den Arztpraxen eine Meldung der Arbeitsunfähigkeit zum Abruf für den Arbeitgeber bereitstellen. Ob das in der Praxis reibungslos funktionieren wird, wird sich zeigen. So schreibt das EFZG in § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG vor, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich zunächst verpflichtet ist, seine Arbeitsunfähigkeit und die voraussichtliche Dauer dem Arbeitgeber unverzüglich mitzuteilen. Diese Pflicht zur Mitteilung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ist streng vom Nachweis zu unterscheiden. Dies ist eine zusätzliche Pflicht des Arbeitnehmers. Bis zum 31.12.2022 musste der Arbeitnehmer diesen Nachweis selber durch Vorlage einer AU-Bescheinigung erbringen. Ab 01.01.2023 hätte der Arbeitnehmer seiner Pflicht Genüge getan, wenn er die Arbeitsunfähigkeit nur mitteilt. Denn ab dem Zugang der Mitteilung wäre dann der Arbeitgeber in der Lage, einen Abruf bei der zuständigen Krankenkasse vorzunehmen, wodurch dann der Nachweis für die Erkrankung erbracht wäre. So die Theorie. Was aber passiert, wenn ein Arbeitnehmer nicht zur Arbeit erscheint und bei der Krankenkasse aus welchen Gründen auch immer kein Nachweis abrufbar ist. Dann liegt dem Arbeitgeber faktisch kein Nachweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vor, was in der Praxis dazu führen dürfte, dass der Arbeitgeber rein vorsorglich erst einmal keine Entgeltfortzahlung leistet. In Bezug auf den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung macht es allerdings keinen Unterschied, ob diese analog oder digital vorliegt.
2. Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
In der Praxis kommt es nun immer wieder vor, dass ein Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit hegt, obwohl eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt. Dann steht er vor der Frage, wie er mit diesem Umstand umgeht. Eine Maßnahme wäre, dass der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigert. Ein Arbeitgeber könnte allerdings seine Zweifel auch zum Anlass nehmen, das Arbeitsverhältnis deshalb zu kündigen. Ergreift ein Arbeitgeber eine dieser Maßnahmen, hat dies für den Arbeitnehmer auf jeden Fall negative Folgen. Entweder bekommt er kein Geld oder er verliert gleich seinen Arbeitsplatz. Dagegen wehren kann sich der Arbeitnehmer, indem er vor dem Arbeitsgericht klagt. Das wiederum führte in der Vergangenheit dazu, dass sich das Bundesarbeitsgericht wiederholt zum Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeit äußern musste.
So entschied das Bundesarbeitsgericht z.B. schon in seinem Urteil vom 15.07.1992 zum damaligen Lohnfortzahlungsgesetz (der Vorläufer zum Entgeltfortzahlungsgesetz), dass die ordnungsgemäß ausgestellte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen hohen Beweiswert habe. Es sei für einen Arbeitnehmer der gesetzlich vorgesehene und gewichtigste Beweis für die Tatsache einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit (vgl. BAG, Urteil vom 15.07.1992, Az.: 5 AZR 312/91 m.w.N). Diese Rechtsprechung gilt dem Grunde nach bis heute. So entschied das Bundesarbeitsgericht - nun zum Entgeltfortzahlungsgesetz - jüngst in einem Urteil vom 08.09.2021 (Az.: 5 AZR 149/21) folgendes:
"Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitnehmer das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen."
Dieser vom Bundesarbeitsgericht anerkannte hohe Beweiswert der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung führt allerdings nicht dazu, dass der Arbeitgeber jede vorgelegte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch akzeptieren müsste. Allerdings sollte er dann wissen, welche Hürden übersprungen werden müssen, um eine vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfolgreich zu bekämpfen. So führt das BAG im gleichen Urteil aus, dass die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit begründet. Würde man dies annehmen, könnte der Arbeitgeber die durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesene Arbeitsunfähigkeit nur noch dadurch entkräften, in dem er das Gegenteil beweist. Das heißt, er müsste beweisen, dass der Arbeitnehmer in Wirklichkeit nicht krank war. Da ein solcher Beweis in der Praxis für einen Arbeitgeber kaum zu erbringen ist, wäre er dadurch praktisch schutzlos einer möglicherweise ungerechtfertigten Inanspruchnahme auf Entgeltfortzahlung ausgesetzt. Aus diesem Grund legt das Bundesarbeitsgericht die Latte ein bisschen niedriger, in dem es es als zulässig ansieht, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur erschüttert werden muss. Zwar reicht es für eine Erschütterung nicht aus, wenn der Arbeitgeber nur bestreitet, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank ist. Vielmehr muss der Arbeitgeber schon konkrete Umstände darlegen und im Bestreitensfall beweisen, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben, mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Welche Umstände das sein können, ist Tatfrage. So besteht grundsätzlich für einen Arbeitnehmer die Verpflichtung, sich während der Zeit der Krankschreibung so zu verhalten, dass er möglichst bald wieder gesund wird und dabei alles unterlässt, was seine Genesung verzögern könnte. Das ergibt sich aus seiner Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber (so BAG Urteil vom 26.08.1993, Az. 2 AZR 154/93). Diese grundsätzlich bestehende Verpflichtung führt aber nicht dazu, dass schon kleinste Verstöße den Arbeitgeber zu einer Kündigung berechtigen würden. Vielmehr verlangt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass der dem Arbeitnehmer vorgeworfene Verstoß eine gewisse Erheblichkeit hat. Das heißt ganz praktisch: jeder Arbeitgeber muss im Einzelfall entscheiden, ob er die ihm bekannt gewordenen Umstände als so gewichtig ansieht, dass sich Maßnahmen wegen Zweifeln an der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung überhaupt lohnen. Des Weiteren muss er entscheiden, ob er diese Umstände auch darlegen und beweisen kann. Gelingt es dem Arbeitgeber dann, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch einen Sachvortrag zu erschüttern, ist es nun Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist dann seitens des Arbeitnehmers substantiierter Vortrag erforderlich, z.B. welche Krankheiten vorgelegen, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder welche Medikamente ärztlich verordnet wurden. Des Weiteren hat der Arbeitnehmer die Ärzte von ihrer Schweigepflicht zu entbinden. Der Ausgang des Verfahrens hängt dann wiederum von der Würdigung durch das Arbeitsgericht ab.
Fazit: Egal, wie man es dreht, die Hürden bleiben für einen Arbeitgeber hoch.