Roland Stemke
Rechtsanwalt
Tel.: 0831 / 2 69 91
11.09.2024

KFZ-Schaden: Muss die Haftpflichtversicherung die Reparaturkosten voll erstatten?


Kfz-Schaden: Müssen Versicherungen Werkstattkosten einer tatsächlich durchgeführten Reparatur voll ersetzen oder dürfen sie kürzen?

I. Allgemeines

Gegeben sei folgender Fall: Ein Kraftfahrzeug wurde durch einen Verkehrsunfall beschädigt. Der Unfallgegner hat den Unfall alleine verschuldet mit der Folge, dass die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners eintrittspflichtig ist. Hier gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten, den Unfallschaden zu regulieren:

  1. Der Betroffene lässt den Unfallschaden durch einen anerkannten Sachverständigen feststellen und rechnet den Schaden auf der Basis des Gutachtens gegenüber der Haftpflichtversicherung ab.
  2. Der Betroffen lässt den Schaden durch einen anerkannten Sachverständigen feststellen und rechnet dann den Kfz-Schaden auf der Basis der tatsächlich von einer Fachwerkstatt durchgeführten Reparatur gegenüber der Haftpflichtversicherung ab.

Um die Variante 2 geht es nachfolgend. Hier könnte nun der Fall eintreten, dass die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners nicht die vollen Reparaturkosten erstattet, sondern Kürzungen vornimmt, weil sie die Rechnung der Kfz-Werkstatt für zu hoch hält. Der Bundesgerichtshof hat im Jahre 2024 drei Urteile gefällt, die sich mit der Frage beschäftigen, wer das Risiko für die Rechnungen einer Werkstatt bzw. eines Kfz-Sachverständigen trägt.

II. Rechtsdogmatischer Ansatz des BGH

Gibt ein Unfallgeschädigter sein Fahrzeug zur Reparatur in eine Fachwerkstatt, schließt er mit der Fachwerkstatt einen Werkvertrag mit der Folge ab, dass er verpflichtet ist, die Werkstattkosten zu bezahlen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners bei eindeutiger Unfallverursachung verpflichtet ist, Schadensersatz zu leisten. Dieser Schadensersatz stellt inhaltlich nur einen Anspruch auf Befreiung von den Werkstattkosten dar. Hingegen wird die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners oder der Unfallgegner selber nicht Vertragspartei der beauftragten Fachwerkstatt. Kürzt nun eine Versicherung die Werkstattrechnung und wird nur der gekürzte Betrag an die Werkstatt gezahlt, bleibt der Betroffene gegenüber der Werkstatt aus Werkvertrag weiterhin zur Zahlung der Differenz verpflichtet. Das ist für den Betroffenen unangenehm, weil er nun gezwungen sein könnte, die Differenz gegenüber der Versicherung einzuklagen. Denkbar ist aber auch, dass er die Differenz nicht zahlt und gegebenenfalls dann von der beauftragten Werkstatt aus Werkvertrag in Anspruch genommen wird.

Der BGH vertritt nun seit Jahrzehnten unter Bezugnahme auf § 249 BGB folgenden rechtsdogmatischen Ansatz: Gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Vom Wortlaut her würde dies auf eine direkte Reparaturverpflichtung hindeuten. Da das in den meisten Schadensfällen nicht interessengerecht ist, regelte der Gesetzgeber in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB folgendes: „Ist wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen.“ Gläubiger einer Schadensersatzanspruchs ist regelmäßig der Geschädigte. Gibt er das durch einen Unfall beschädigte Fahrzeug zur Reparatur in eine Werkstatt und stellt diese dann anschließend eine Rechnung, ist dies der zur Schadensbeseitigung aufzuwendende Geldbetrag.

Bemerkenswert ist nun, dass § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB von einem zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag spricht. Das ist nicht automatisch der von der Fachwerkstatt in Rechnung gestellte Betrag. Und das wirft die ganz praktische Frage auf, ob alle von einer Fachwerkstatt in Rechnung gestellten Arbeiten auch tatsächlich erforderlich sind. So entschied der BGH schon in seinem Urteil vom 29.10.1974 (Az.: VI ZR 42/73), dass sich der Geschädigte bei der Auftragserteilung von wirtschaftlich vertretbaren, das Interesse des Schädigers an einer Geringhaltung des Schadens zu berücksichtigenden Erwägungen leiten lassen muss. Und das könnte dann in Frage gestellt sein, wenn eine Fachwerkstatt unter Umständen überhöhte Rechnungen stellt. Und hier hatte der BGH zu entscheiden, wer für den Fall, dass eine Werkstatt eine überhöhte Rechnungen stellt, das Risiko zu tragen hat: der Geschädigte oder der Schädiger. Der BGH entschied dazu 1974 folgendes: „Es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass den Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Unfallfahrzeug in die Hände von Fachleuten übergeben hat; auch diese Grenzen bestimmen das mit, was „erforderlich“ ist. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Satz 2 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigungen in einer fremden, vom Geschädigten und wohl auch vom Schädiger nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Insoweit besteht kein Sachgrund, dem Schädiger das „Werkstattrisiko“ abzunehmen, das er auch zu tragen hätte, wenn der Geschädigte ihm die Beseitigung des Schadens nach § 249 Abs. 1 BGB überlassen würde.“

 Der BGH spricht hier von Werkstattrisiko. Er wertet, sofern keine weiteren Umstände gegeben sind, daher grundsätzlich die tatsächlich von einer Fachwerkstatt in Rechnung gestellten Reparaturkosten als erforderlichen Herstellungsaufwand, selbst wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten, etwa wegen überhöhter Ansätze von Material- oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu den für eine solche Reparatur sonst üblichen Werten unangemessen waren. Das macht den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung nicht rechtlos, wie die nachfolgend aufgeführten Urteile des BGH zeigen.

III. Drei Urteile des BGH aus dem Jahre 2024

Im Jahre 2024 hatte nun der Bundesgerichtshof die Gelegenheit, in drei Urteilen, die schon im Jahre 1974 formulierte Rechtsdogmatik nochmals zu konkretisieren:

1. BGH-Urteil vom 16.01.2024, Az.: VI ZR 38/22

Dem Urteil zugrunde lag der Fall, dass eine Werkstatt für einen Unfallgeschädigten eine Reparatur durchführte und sich die Ansprüche gegen die gegnerische Haftpflichtversicherung auf Erstattung der Reparaturkosten abtreten ließ. Diese erstattete dann gegenüber der Werkstatt nicht den vollen Rechnungsbetrag, weil sie irgendwelche Kostenansätze für unbegründet ansah.

Dieser Fall unterscheidet sich von der obigen Fallkonstellation dadurch, dass nicht der Geschädigte die Reparaturkosten gegenüber der Haftpflichtversicherung geltend macht, sondern die Reparaturwerkstatt selber aufgrund abgetretenen Rechts.

Hierzu urteilte nun der BGH wie folgt: „Übergibt der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug an eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne dass ihn insoweit ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft, so sind die dadurch anfallenden Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger deshalb auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie aufgrund unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt unangemessen, mithin nicht erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sind.“

Dies entspricht der vom BGH schon im Jahre 1974 vertretenen Rechtsdogmatik. Dieser Ansatz wird damit begründet, dass der Geschädigte grundsätzlich keinen Einfluss auf die Reparaturaufwendungen hat und weil die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Hat der Geschädigte vor Geltendmachung seiner Schadensersatzansprüche die Werkstattrechnung vollständig bezahlt, kann er somit von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners eine volle Begleichung seiner Aufwendungen verlangen. In dem vom BGH entschiedenen Fall hat sich allerdings die Werkstatt die Forderung auf Begleichung der Reparaturkosten abtreten lassen. In einem solchen Fall trägt die Werkstatt das Werkstattrisiko selber, denn sie verfügt genau über das Wissen, welches dem Geschädigten üblicherweise fehlt. Die Werkstatt hat daher in einem Schadensersatzprozess gegen den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung darzulegen und zu beweisen, dass die abgerechneten Reparaturmaßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden und dass die geltend gemachten Reparaturkosten erforderlich waren, weil eben keine überhöhten Ansätze von Material und Arbeitszeit vorlagen und/oder die Werkstatt auch nicht unsachgemäß oder unwirtschaftlich arbeitete.

2. Urteil des BGH vom 16.01.2024, Az.: VI ZR 253/22

Dem Urteil zugrunde lag der Fall, dass die von der Werkstatt dem Geschädigten gestellte Rechnung noch nicht bezahlt war. Hier entschied der BGH, dass auch bei unbezahlter Werkstattrechnung sich der Geschädigte auf das sogenannte Werkstattrisiko berufen kann. Allerdings kann der Geschädigte nicht die Zahlung an sich selber verlangen, sondern nur an die Werkstatt, und zwar Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt an die Versicherung. Dies ist deshalb erforderlich, damit die Haftpflichtversicherung unsachgemäße Rechnungsansätze der Werkstatt danach eigenständig verfolgen kann. Wie oben schon ausgeführt wurde, steht die gegnerische Haftpflichtversicherung in keinem Rechtsverhältnis zur Reparaturwerkstatt, sondern stellt nur den Geschädigten von Vergütungspflichten gegenüber der Werkstatt aus Werkvertrag frei. Will sie also Einwendungen gegen die Berechtigung der Werkstattrechnung geltend machen, kann sie dies nur aufgrund von Rechten des Geschädigten selber. Aus diesem Grund müssen diese Rechte an die Versicherung abgetreten werden.

3. Urteil des BGH vom 12.03.2024, Az.: VI ZR 280/22

Dieses Urteil beschäftigt sich mit den Kostenansätzen eines Kfz-Sachverständigen. Regelmäßig wird bei Verkehrsunfällen ein Sachverständiger zur Ermittlung des Kfz-Schadens eingeschaltet. Auch bei diesem ist es möglich, dass überhöhte Kostenansätze geltend gemacht werden. Der BGH entschied hier, dass die Grundsätze zum Werkstattrisiko auch für überhöhte Kostenansätze eines Kfz-Sachverständigen gelten, den der Geschädigte mit der Begutachtung seines Fahrzeugs zur Ermittlung des unfallbedingten Schadens beauftragt hat.

 Die Urteile des BGH aus dem Jahre 2024 stehen rechtsdogmatisch im Einklang mit der schon seit Jahrzehnten praktizierten Rechtsprechung des BGH. Der Geschädigte trägt grundsätzlich nicht das Werkstattrisiko. Es kann aber Konstellationen geben, wie die Urteile aus dem Jahre 2024 zeigen, die eine Anpassung an die konkreten Umstände erforderlich machen. So wäre es grundsätzlich unverständlich, wenn sich die Werkstatt, die möglicherweise überhöhte Rechnungsansätze abrechnet, wie der Geschädigte selbst uneingeschränkt und folgenlos auf das Werkstattrisiko berufen könnte. Allerdings sollten Geschädigte, bei denen Reparaturrechnungen nicht vollständig von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners erstattet werden, anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen, damit geprüft werden kann, ob der Abzug zu recht erfolgte. Besser ist es allerdings, Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall gleich über einen Rechtsanwalt gegenüber der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners geltend zu machen.