Roland Stemke
Rechtsanwalt
Tel.: 0831 / 2 69 91
31.07.2017

Arbeitsrechtliche Instrumente in der Wirtschaftskrise

- Ein Beitrag für Leidensfähige -


Sind Sie leidensfähig? Für den nachfolgenden Beitrag muss man nämlich in mehrfacher Weise leidensfähig sein. Zum einen beschäftigt sich der Beitrag mit einem rechtlichen Thema. Allein schon das Lesen derartiger Texte verlangt ein gewisses Maß an Leidensfähigkeit. Zum anderen befasst sich der Beitrag konkret mit Arbeitsrecht in der Wirtschaftskrise. Und wer die Wirtschaftskrise unmittelbar spürt, der erwartet weder als Unternehmer noch als Arbeitnehmer ausgerechnet vom Arbeitsrecht einen erbaulichen Beitrag.

Zwar bekommt nicht jedes Unternehmen die Wirtschaftskrise in gleicher Weise zu spüren. Für manche Unternehmen ist sie existenziell, andere trifft sie nur am Rande. Auf jeden Fall aber muss der Unternehmer auf die aktuelle Situation mittels Entscheidungen reagieren. Hierzu stehen ihm eine Fülle von Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung. Nachfolgend sollen drei arbeitsrechtliche Instrumente dargestellt werden, mit denen der Unternehmer in der Krise reagieren kann. Um hier allerdings von vornherein keine falschen Erwartungen zu erwecken, sei darauf hingewiesen, dass allein mit arbeitsrechtlichen Instrumenten weder die Krise im Unternehmen zu beseitigen ist noch überhaupt kurzfristig Lösungen zu erreichen sind. Andererseits kommt derjenige, der Arbeitnehmer beschäftigt, um das Arbeitsrecht nicht herum.
Eine der Grundfragen in der Wirtschaftskrise ist: Muss Personal abgebaut werden oder nicht? Muss Personal abgebaut werden, kann dies der Unternehmer nur mittels Ausspruchs betriebsbedingter Kündigungen oder Abschlusses von Aufhebungsverträgen erreichen. Soll hingegen kein Personal abgebaut werden, sollen aber gleichwohl die Personalkosten gesenkt werden, dann käme als Instrument die Einführung von Kurzarbeit in Frage. Ist absehbar, dass die Wirtschaftskrise längerfristig Auswirkungen auf die gesamte Struktur des Unternehmens hat, dann würde sich abschließend auch die Anpassung der Arbeitsverträge an diese Struktur anbieten. Nachfolgend sollen daher überblicksmäßig die drei Instrumente Kurzarbeit, betriebsbedingte Kündigung und Arbeitsvertragsanpassung vorgestellt werden.

1. Kurzarbeit

a) Kurzarbeit wird in der Öffentlichkeit zwar in erster Linie im Zusammenhang mit der Gewährung von Kurzarbeitergeld durch die Agentur für Arbeit wahrgenommen. Regelmäßig ist die Bereitstellung von Kurzarbeitergeld durch die öffentliche Hand und die damit verbundene Kostenentlastung im Unternehmen sogar der eigentliche Grund für die Unternehmensentscheidung auf Einführung von Kurzarbeit. Dass dies in der Praxis so ist, darf aber nicht zu der Vorstellung führen, der Arbeitgeber könne einseitig einfach Kurzarbeit einführen. Unter Kurzarbeit wird allgemein die vorübergehende Verkürzung der betriebsüblichen normalen Arbeitszeit verstanden. Will man die Arbeitszeit verändern, bedarf es hierfür einer arbeitsrechtlichen Grundlage. Die rechtliche Grundlage kann ein Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder eine einzelvertragliche Vereinbarung sein. Gerade die einzelvertragliche Vereinbarung kommt in den Unternehmen zum tragen, für die kein Tarifvertrag gilt und in denen es keinen Betriebsrat gibt. Rein theoretisch müsste der Arbeitgeber mit jedem einzelnen Arbeitnehmer die Verkürzung der Arbeitszeit vereinbaren. Nach eine Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 14.10.1999 reicht es aber, wenn ein Arbeitnehmer entsprechend den Weisungen des Arbeitgebers tatsächlich Kurzarbeit leistet. In der Praxis dürfte die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Einführung von Kurzarbeit allein mit dem Hinweis des Arbeitgebers, dass ansonsten Kündigungen ausgesprochen werden müssten, erreicht werden.
b) Kurzarbeit hat durch die Gewährung von Kurzarbeitergeld auch eine sozial-rechtliche Seite. Das Kurzarbeitergeld ist in §§ 169 ff SGB III geregelt. Dass der Staat überhaupt Kurzarbeitergeld gewährt, ist darauf zurückzuführen, dass dem Arbeitnehmer bei vorübergehendem Arbeitsausfall der Arbeitsplatz und dem Arbeitgeber die Belegschaft erhalten bleiben soll. Einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben Arbeitnehmer nach § 169 SGB III, wenn (1) ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt, (2) die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind, (3) die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und (4) der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist. Erheblicher Arbeitsausfall liegt nach § 170 SGB III vor, wenn ein Arbeitsausfall infolge wirtschaftlicher Ursachen eingetreten ist oder auf einem unabwendbaren Ereignis beruht. Der weiteren muss der Arbeitsausfall vorübergehend und nicht vermeidbar sein. Dabei werden an die Vermeidbarkeit von Seiten der Agentur für Arbeit erhebliche Anforderungen gestellt, um Mitnahmeeffekte zu vermeiden. Der Arbeitgeber muss in seinem Betrieb alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen haben, um den Eintritt des Arbeitsausfalls zu vermeiden. Abschließend muss der Arbeitsausfall im jeweiligen Kalendermonat mindestens ein Drittel der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer insoweit getroffen haben, dass ein Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 % des monatlichen Bruttoentgelts vorliegt. Praktisch jeder Betrieb, in dem mindestens ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer beschäftigt wird, erfüllt die betrieblichen Voraussetzungen. Es kommt weder auf die Größe noch auf die Rechtsform des Unternehmens an. Die persönlichen Anforderungen sind bei allen sozialversiche-rungspflichtigen Arbeitnehmern erfüllt, welche in einem ungekündigten Ar-beitsverhältnis stehen und deren Arbeitsverhältnis nach dem Arbeitsausfall fortgesetzt wird. Der Arbeitgeber hat den Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit anzuzeigen und laufend die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld nachzuweisen. Die Abrechnung erfolgt über den Arbeitgeber. Die Agentur entscheidet mittels Bescheid über das Vorliegen der Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld. Die Regelbezugsfrist beträgt 6 Monate, kann aber mittels Verordnung des Bundesarbeitsministeriums verlängert werden.
c) Fazit: Durch Kurzarbeit kann der Unternehmer seine Personalkosten senken. Er hat aber einen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand, der mit der Ge-währung von Kurzarbeitergeld verbunden ist, zu stemmen. Hierbei wird er von Seiten der Agentur für Arbeit mittels Formblättern und Informationen unterstützt.

2. Betriebsbedingte Kündigungen
Kommt der Unternehmer zu dem Ergebnis, dass die Wirtschaftskrise einen Per-sonalabbau unabwendbar macht, kann er diesen mittels Abschluss von Aufhe-bungsverträgen oder dem Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen erreichen. Im Gegensatz zum Aufhebungsvertrag bedarf der Arbeitgeber für den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung keiner Zustimmung des Arbeitnehmers. Allerdings veranlasst dies viele Arbeitnehmer, deshalb Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht zu erheben. Dort wird dann geprüft, ob die Kündigung rechtmäßig war. In diesem Zusammenhang entscheidend ist daher die Frage, ob für den Betrieb des Unternehmers das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet. Das Kündigungsschutzgesetz findet grundsätzlich Anwendung, wenn ein Unternehmen in seinem Betrieb mehr als 10 Vollzeitarbeitskräfte beschäftigt. Um den Umfang dieses Beitrags nicht zu sprengen, wird auf die Darstellung verzichtet, die weiteren Anwendungsfälle für die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes darzustellen. Findet nun das Kündigungsschutzgesetz Anwendung, dann darf ein Unternehmer nur noch aus verhaltens-, personen- oder betriebsbedingten Gründen kündigen. Findet das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung, darf ein Unternehmen praktisch aus jedem vernünftigen Grund kündigen. In der Wirtschaftskrise kommt nur die betriebsbedingte Kündigung in Frage. Sie ist im Kündigungs-schutzgesetz nicht definiert. Bei einer betriebsbedingten Kündigung geht es da-rum, dass der Unternehmer einen Arbeitsplatz nicht mehr zur Verfügung stellen kann, weil er seinen Betrieb nicht mehr so fortführen kann oder will wie bisher. Das heißt, die betrieblichen Erfordernisse für die Kündigung können auf inner- oder außerbetrieblichen Umständen beruhen. Zu den innerbetrieblichen Umständen gehört unter anderem die Umstellung von technischen Abläufen oder die Veränderung der Organisation, z.B. durch Vergabe von Arbeiten an Fremdfirmen. Zu den außerbetrieblichen Umständen gehört der Auftragsmangel. Regelmäßig bedarf es, gleich ob inner- oder außerbetriebliche Umstände vorliegen, einer Unternehmerentscheidung. Diese Unternehmerentscheidung ist von den Arbeitsgerichten im Rahmen einer Kündigungsschutzklage in unterschiedlichem Umfang zu überprüfen. So beschränkt sich die Überprüfung der Arbeitsgerichte bei einer innerbetrieblichen Organisationsveränderung nur auf eine Willkürkontrolle. Es ist nicht Aufgabe der Arbeitsgerichte darüber zu entscheiden, welche interne Unternehmensmaßnahme am zweckmäßigsten ist. Allerdings müssen die Organisationsentscheidungen, die eine Kündigung bedingen, tatsächlich auch alle durchgeführt werden. Eine betriebsbedingte Kündigung ist grundsätzlich nur unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfristen möglich. Dies kann dazu führen, dass ein Arbeitsverhältnis erst Monate nach Ausspruch der Kündigung endet. Des weiteren ist bei einer betriebsbedingten Kündigung eine gesetzlich vorgegebene Sozialauswahl zu beachten. Zu beachten sind Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Un-terhaltspflichten und Schwerbehinderung. Gerade die Sozialauswahl bereit vielen Unternehmen in der Praxis große Probleme. Regelmäßig wollen Unternehmer durch den Personalabbau die weniger guten Arbeitskräfte los werden und die guten behalten. Dies aber passt häufig nicht mit der Sozialauswahl zusammen. Daher gilt folgender Grundsatz: Die betriebsbedingte Kündigung hat ohne Ansehen der Person zu erfolgen.

3. Vertragsanpassungen
Ist erkennbar, dass sich die Verhältnisse im Unternehmen auf längere Zeit verändern, könnte auch eine Vertragsanpassung in Frage kommen. Hierzu ist regelmäßig die Zustimmung des Arbeitnehmers erforderlich. Einvernehmlich kann daher jeder Arbeitsvertrag zukünftig verändert werden. So ist es selbstverständlich erlaubt, mit seinen Arbeitskräften zukünftig dauerhaft die regelmäßige Arbeitszeit zu verkürzen. Eine solche einvernehmliche Arbeitszeitverkürzung hätte den Vorteil, dass zukünftig eine niedrigere regelmäßige Arbeitszeit gilt. Sollte dann doch mehr Arbeit anfallen, wäre die jetzt zusätzlich anfallende Arbeitszeit Mehrarbeit. Zur Mehrarbeit darf zwar ein Arbeitnehmer nicht mittels Direktionsrechts des Arbeitgebers verpflichtet werden. Mehrarbeit muss aber grundsätzlich zusätzlich vergütet werden. Die Praxis zeigt, dass viele Arbeitnehmer an Mehreinkünften interessiert sind. Es ist daher viel leichter, Mitarbeiter, obwohl sie nicht müssten, zur Mehrarbeit zu bewegen als kurzfristig umgekehrt eine Zustimmung auf Verkürzung der Arbeitszeit zu erreichen, weil dies eine Kürzung der Einkünfte zur Folge hätte. Ist eine einvernehmliche Vertragsänderung nicht erreichbar, kann der Unternehmer Vertragsänderungen im Wege der Änderungskündigung durchsetzen. Welche Vertragsänderungen angestrebt werden, ist im Einzelfall zu entscheiden. Sollen Vertragsregelungen zur Entgeltsenkung durchgesetzt werden, zum Beispiel Lohnsenkungen oder die Verkürzung der Arbeitszeit, dann greift der Arbeitgeber nachhaltig in das arbeitsvertraglich vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung ein. Derartige Eingriffe sind nur dann begründet, wenn bei einer Aufrechterhaltung der bisherigen Personalkostenstruktur weitere, betrieblich nicht mehr auffangbare Verluste entstehen, die absehbar zu einer Reduzierung der Belegschaft oder sogar zu einer Schließung des Betriebs führen. Da eine Änderungskündigung eine Kündigung ist, wenn auch verbunden mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen, kann gegen diese Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben werden. Den Arbeitsgerichten steht hier ein weiter Beurteilungsspielraum zur Verfügung.

Fazit: Jedes der oben vorgestellten Instrumente hat seine eigenen Tücken. Am besten ist es, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einvernehmlich in den relevanten Punkten einigen. Wo das nicht möglich ist, müssen die erforderlichen Maßnahmen gegebenenfalls durchgesetzt werden. Im Leben eines Unternehmers und eines Arbeitnehmers sind dies regelmäßig keine erbaulichen Momente. Aber nach der Lehre von Bhudda soll ja das ganze Leben Leiden sein. Somit auch das Lesen des obigen Beitrags.