Roland Stemke
Rechtsanwalt
Tel.: 0831 / 2 69 91
02.11.2020

Annahmeverzugslohn bei Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers


Annahmeverzugslohn bei Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers

1. Beispielsfall

     Gegeben sei folgender Beispielsfall, der in der Praxis in verschiedenen Variationen vorkommen kann:

     Der Arbeitgeber kündigt das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers zum 30.06. des Jahres. Der Arbeitnehmer ist ab 01.07. des Jahres arbeitslos. Gerichtlich einigen sich der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer später auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den 31.10. des Jahres.

     Welche Vergütungsansprüche hat der Arbeitnehmer ab dem 01.07. des Jahres gegen den Arbeitgeber, wenn er die gesamte Zeit vom 30.06.bis zum 31.10. arbeitslos war?

     Die gleiche Frage würde sich übrigens stellen, wenn ein Arbeitnehmer vor Gericht im Kündigungsschutzprozess erfolgreich die Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses erstreitet und er zwischenzeitlich arbeitslos war.

2.  Sozialrechtliche Folgen

     Mit Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung endet das Arbeitsverhältnis formal zu dem in der Kündigungserklärung genanntem Zeitpunkt, und zwar unabhängig von der Frage, ob die Kündigung rechtmäßig war oder nicht. Das heißt, der Arbeitnehmer ist ab dem Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses arbeitslos. Ab dem Zeitpunkt trifft ihn gemäß § 2 Abs. 5 SGB III die Pflicht, aktiv zur Vermeidung oder Beendigung der Arbeitslosigkeit mitzuarbeiten. Er hat sich zum einen gemäß § 38 Abs. 1 SGB III unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts des Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Des weiteren hat der Arbeitnehmer eigenverantwortlich nach einer Beschäftigung zu suchen und eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Und er muss seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend machen. Formal handelt es sich um sozialrechtliche Verpflichtungen. Diese können aber bei einem Fall wie dem obigen durchaus auch arbeitsrechtliche Auswirkungen haben.

3.  Anspruch auf Verzugslohn

     Wird nachträglich festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis über den ursprünglichen Beendigungszeitpunkt fortgesetzt wird, dann stehen dem Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber ab dem Beendigungszeitpunkt grundsätzlich Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug des Arbeitgebers zu. Hat der Arbeitnehmer ab dem Beendigungszeitunkt des Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld erhalten, dann geht gemäß § 115 Abs. 1 SGB X der Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber auf Arbeitsentgelt in Höhe der erbrachten Sozialleistungen auf den Sozialversicherungsträger über. Dieser Teil des Verzugslohnes wird auch nicht an den Arbeitnehmer ausgezahlt, sondern gegenüber der Agentur für Arbeit abgerechnet. Im Normalfall sollte dies auch unproblematisch sein.

     Nun ist aber regelmäßig die Vergütung des Arbeitnehmers höher als das Arbeitslosengeld. Das heißt, der Arbeitnehmer hat gegen den Arbeitgeber einen direkten Anspruch auf den Teil des Arbeitsentgeltes, der nicht auf den Sozialversicherungsträger übergegangen ist. An dieser Stelle ist nun der Anspruchsgrundlage des Arbeitnehmers - nämlich Annahmeverzug des Arbeitsgebers - Beachtung zu schenken. Geregelt ist der Annahmeverzug einmal in § 615 BGB. Es gibt aber auch eine Regelung in § 11 KSchG. Nach beiden Vorschriften kann der Arbeitnehmer für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Beide Vorschriften enthalten aber Anrechnungsregelungen. Danach muss sich der Arbeitnehmer nicht nur anderweitigen Verdienst bzw. erhaltene Sozialleistungen anrechnen lassen. Er muss sich auch das anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Und diese Regelung könnte nun zum Zankapfel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden. Was heißt denn "böswilliges Unterlassen der Aufnahme einer zumutbaren Arbeit"? Es handelt sich um eine Einwendung, die der Arbeitgeber erheben kann. Für diese Einwendung ist der Arbeitgeber auch grundsätzlich darlegungs- und beweisbelastet. Das führt zu der ganz praktischen Frage, wie der Arbeitgeber das denn beweisen will. Erfahrungsgemäß hat der Arbeitgeber doch keinerlei Kenntnisse davon, was der Arbeitnehmer nach seinem Ausscheiden aus dem Betrieb so gemacht hat. Also wird er den Vorwurf des böswilligen Unterlassens entweder nur ins Blaue hin erheben können oder er stellt konkret Nachforschungen an. Üblicherweise dürfte der Arbeitgeber hierbei nicht sehr erfolgreich sein.

     Und hier stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer nicht einen Auskunftsanspruch haben könnte. Und einen solchen Auskunftsanspruch hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 27.05.2020 (Az.: 5 AZR 387/19) dem Arbeitgeber tatsächlich zugestanden. So heißt es im Leitsatz 3 des Urteils wie folgt:

     "Der Arbeitnehmer ist dem Arbeitgeber zur Auskunft über Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit und des Jobcenters nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet, wenn er Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert und die Einwendung böswillig unterlassener anderweitigen Erwerbs wahrscheinlich begründet ist."

     An sich würde der Wortlaut des böswilligen Unterlassens anderweitigen Erwerbs es nahelegen, dass der Arbeitgeber zunächst einmal überhaupt Anhaltspunkte vortragen müsste, aus denen sich die Böswilligkeit ergibt, um überhaupt einen Auskunftsanspruch zu begründen. Dies sieht das BAG nicht so eng. Vielmehr reicht es, dass der Arbeitgeber ohne Auskunftserteilung zur Zahlung von Arbeitsvergütung verpflichtet sein könnte, obwohl möglicherweise der Arbeitnehmer die Aufnahme anderweitigen Erwerbs böswillig unterlassen hat. Ob der Arbeitnehmer die Aufnahme einer anderweitigen Tätigkeit tatsächlich böswillig unterlassen hat, kann der Arbeitgeber aber erst dann überhaupt beurteilen, wenn er weiß, welche Angebote dem Arbeitnehmer vorgelegen haben. Hierüber kann aber nur der Arbeitnehmer Auskunft geben. Der Arbeitgeber hat keinen Anspruch - auch gegen die Agentur für Arbeit - auf Auskunftserteilung darüber, welche Vermittlungsangebote sie dem Arbeitnehmer gemacht hat. Der Arbeitnehmer wiederum ist aufgrund seiner Sonderrechtsbeziehung wegen seines Arbeitsverhältnisses nach Treu und Glauben verpflichtet, dem Arbeitgeber hierfür die erforderlichen Auskünfte zu geben. Dem Auskunftsanspruch des Arbeitgebers stehen keine schützenswerten Interessen des Arbeitnehmers entgegen. Das BAG führt zwar weiter aus, dass der Einwand der Böswilligkeit des Unterlassens einer anderweitigen zumutbaren Arbeit nicht allein dadurch schon begründet wird, dass eine Information über die Vermittlungsvorschläge erteilt wird. Vielmehr ist dieser Einwand erst aufgrund weiteren Vorbringens des Arbeitgebers zu überprüfen.

     Inhaltlich hat der Arbeitnehmer Auskunft über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit / des Jobcenters unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung zu erteilen. Nur wenn der Arbeitgeber von diesen Arbeitsbedingungen der Vermittlungsvorschläge Kenntnis hat, ist er in der Lage, Indizien für die Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs vorzutragen. Sodann obliegt es dem Arbeitnehmer im Wege der abgestuften Darlegungs- und Beweislast, diesen Indizien entgegenzutreten und darzulegen, weshalb es nicht zu einem Vertragsschluss gekommen ist bzw. ein solcher unzumutbar war.

4.  Fazit

     Formal erging das Urteil des BAG nur über einen Anspruch des Arbeitgebers auf Auskunftserteilung über Vermittlungsvorschläge der Agentur der Arbeit / des Jobcenters. Nicht entschieden wurde über die Frage, welche Auskunft ein Arbeitnehmer über eigene Bemühungen mitzuteilen hat. Ebenfalls nicht entschieden hat das BAG über die Frage, unter welchen Voraussetzungen von einem böswilligen Unterlassen einer anderweitigen Arbeitsaufnahme auszugehen ist. Und hier steckt die eigentliche Brisanz des Urteils. Solange der Arbeitgeber überhaupt nicht weiß, welche anderen Arbeitsangebote dem Arbeitnehmer vorlagen, bleibt der Einwand des böswilligen Unterlassens anderweitigen Erwerbs praktisch wirkungslos. Indem nun das BAG dem Arbeitnehmer eine Auskunftspflicht auferlegt, erfährt der Arbeitgeber erhebliche Beweiserleichterungen. Denn in der Praxis wird damit der Arbeitnehmer verpflichtet werden, sobald er auch nur über ein Jobangebot Auskunft gibt, zu erklären, warum kein Vertrag zustande kam. In der Praxis dürfte dann unter anderem über so Fragen gestritten werden, ob ein Arbeitnehmer böswillig anderweitigen Erwerb unterlassen hat, wenn ihm zwar eine gegenüber seiner bisherigen Tätigkeit vergleichbare Arbeit angeboten wurde, die Vergütung aber geringer war als bei seinem alten Arbeitgeber und er deshalb den Abschluss eines Arbeitsvertrages abgelehnt hat. Der Erlass entsprechender Urteile wird nicht lange auf sich warten lassen.